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    Jazz & Blues mit Simon Seeleuther und Erwin Ditzner

    Aus der Reihe „Hast du so was schon gehört?“

    Nach dem ersten Stück fragt R.: „Ist das wirklich Jazz? Ich habe Vogelstimmen gehört!“ Natürlich war das Jazz, denn das ist ja ein Jazz-Konzert. Aber es war Jazz der besonderen Art. Dafür garantierten Simon Seeleuther mit dem außergewöhnlichen Pedal-steel-guitar-Instrument und E-Gitarre sowie Erwin Ditzner am Schlagzeug. „Erwin spielt unkonventionell“, kündigt Simon an. Und in der Tat: Hier wird nicht nur auf Trommelfell und Becken gewummert, sondern mit allen Tricks,  harten Schlägen auf die Trommelkante, Kratzen mit dem Schlegel-Griff an der Beckenmitte, eine erstaunliche Percussion-Fülle erzeugt.
    Wer beim ersten Stück – es war reichlich psychodelic – die Augen schloss, schwebte schon bald dicht unter der Decke unseres kleinen Versammlungsraums. Als die Instrumente wieder schwiegen und der Beifall prasselte, plumpste man wieder auf die Stühle. C.: „Ich sah eine ganze Farbensymphonie zwischen Blau und Rot!“ Dann ging es weiter: Fluidum und Staccato auf dem Pedal-Steel, verschlungene und versetzte Rhythmik in unterschiedlichen Tonfarben auf dem Schlagzeug. Nein, so was hatte wohl niemand der Anwesenden schon gehört.

    Simon musste dann erst mal einiges zu seinem Wunderinstrument erläutern, darum war er schon vor der Veranstaltung gebeten worden. Es würde einen ganzen Artikel füllen, was er zu berichten wusste. 1950 aus der Hawai-Gitarre entwickelt, zwei Gitarren-Hälse (Manuale) horizontal montiert für obere und untere Stimmlagen, die Töne beliebig modulierbar, dazu allerhand Hebeltechnik und eine kleine Stahlrolle, mit der die Saiten abge-„griffen“ werden. Er habe die ungeheuren Möglichkeiten und Effekte, die auf diesem Instrument erzeugt werden können, noch lange nicht alle ergründen können. Und auch Erwin musste noch eine Frage beantworten nach dem Hebel unter der kleinen Trommel: Damit bedient er selbst eingebaute Spiralen auf dem unteren Resonanzfell, die ein Rasseln erzeugen können.

    Nach dieser Bildungseinlage ging die Post ab. Die Stücke steigerten sich zu einem Pedal-Steel bzw. Gitarren-Inferno (denn Simon wechselte immer wieder die Instrumente), verwoben mit einem Percussion-Gewitter, dass die Herzogenried-Hochhäuser zu wackeln drohten. C. und I. hält es nicht auf den Sitzen. M. tanzt auf der freien Fläche im Eingangsbereich FreeStyle, was die Gelenke nur hergeben. W. muss – weil die Trommel-Wellen zu sehr auf ihren Brustkorb schlagen – zwischendrin aus der „Schusslinie“ in den Vorraum, bis es wieder besinnlicher wird mit zwei Blues-Balladen. Soweit das Programm, von dem die Künstler ankündigten, sie wüssten selber nicht, was dabei herauskommt. Das Publikum ließ sie erst gar nicht von der nicht vorhandenen Bühne verschwinden, sondern erklatschte sich eine (erste) Zugabe: Und sowas hatte nun wirklich noch niemand gehört: Erwin griff zu einer Zitter, die er selbst umgebaut hatte (er muss auch ein guter Elektriker sein) und bespielte nach eigenen Angaben nur drei Saiten – dies mit einem Trommelschlegel in allen nur denkbaren und nicht denkbaren Methoden, zu getragener Gitarren-Begleitung. Wahnsinn! Und als sie dann in tiefer Dankbarkeit verabschiedet waren und den Raum schon verlassen hatten, nötigte sie das begeisterte Publikum, doch noch einmal in ihren Instrumentendschungel einsteigen. Als Finale gab es nun eine Ballade, die die Mannheimer Jazzer-Community mittlerweile traditionell zum Abschied spielt im Gedenken an die Vielen, die inzwischen gegangen sind – wer denkt da nicht gleich an Hans Reffert. Aber auch Simon Seeleuthers Pedal-Steel-Lehrer, Christian Schimanski, bundesweit aktiver Gitarrist aus der Neckarstadt, gehört leider seit letztem Jahr dazu.

    Das Konzert hat alle Anwesenden tief beeindruckt. Zum Ausklang gab es noch Sekt-Aperol zu ein paar Snacks mit vielen Gesprächen. Auch die beiden Künstler mischten sich noch unter das Publikum. Sie fanden den Abend ebenfalls gelungen. Selten hätten sie so eine intime Location für ihren Auftritt gehabt in unmittelbarer Nähe zum Publikum – auf Augenhöhe, mangels Bühne.

    Die Serie wird fortgesetzt.

    Text: Thomas Trüper

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