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    Lesung aus den Erinnerungen der Sintiza Zille Schmidt

    Unterüberschrift: Gott hat ...

    Der Herrgott hatte etwas mit mir vorgehabt

    Als erste Veranstaltung nach Corona veranstaltete der Förderverein der Stadtbücherei Herzogenried in Kooperation mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Anfang März eine Lesung zum Gedenken an eine der letzten Zeitzeug*innen der Verfolgten des Nationalsozialismus. In der Stadtbibliothek lasen drei junge Frauen vom Verband deutscher Sinti und Roma aus den Erinnerungen von Zilli Schmidt, nahmen die Zuhörer*innen mit auf eine Reise durch Zillis Leben.

    Zilli Schmidt, Angehörige einer Familie deutscher Sinti, wurde 1924 in Thüringen geboren, im März 1943 nach Auschwitz deportiert und 1944 von dort nach Ravensbrück überführt. Sie überlebte die KZs und lebte nach dem Krieg lange Jahre in Mannheim. Erst in hohem Alter entschloss sie sich, über ihr Leben zu sprechen: Über die glückliche Kindheit, über ihre Eltern, die als Schausteller mit einem Wanderkino, als Musiker, als Händler mit Spitzen und Geigen Geld verdienten und gut mit den ‚Gadje‘, den Nicht-Sinti, auskamen. Deshalb dachte auch Zilli Schmidts Vater, dass ihnen als rechtschaffene Bürger nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine Gefahr drohte: ‚Die bringen doch nur die Verbrecher weg‘

    Weit gefehlt: In der Nacht des 2. August 1944 wurden Zillis vierjährige Tochter Gretel, ihre Eltern, die Schwester mit ihren sechs Kindern und zahlreiche weitere Verwandte in Auschwitz ermordet. Zilli fand nach Kriegsende nur ihre beiden Brüder wieder, von denen einer in seiner Wehrmachtsuniform, mit der er bei Stalingrad gekämpft hatte, ins KZ eingeliefert worden war.

    1945 war sie 21 Jahre alt und wollte leben, obwohl sie gleichzeitig dachte, ‚das geht doch gar nicht, nach all dem, was man erlebt hat‘. Aber das Leben war auch Ansporn, sie wollte weiterleben, auch, wenn sie erstmal gar nicht so recht wusste wofür. Sie lernte ihren Mann Toni kennen und fuhr mit ihm viele Jahre in einem Wohnwagen durch Deutschland, lebte von Musik und vom Handel mit Handarbeiten und Spitzen. Es waren gute Jahre. Das ganze Jahr fest an einem Ort zu leben, war lange Zeit keine Option. Erst, als sie sich wirklich zu alt zum Herumfahren fühlten, wohnten sie dauerhaft in einer Wohnung.

    Ende der 2010er Jahre führte die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas lebensgeschichtliche Interviews mit Zilli Schmidt. Die vielen Gespräche waren die Basis für das Buch „Gott hat mit mir etwas vorgehabt“, dessen Text ganz nah an der Person ist, fast geschrieben wie gesprochen und gerade deshalb umso berührender.

    Letztes Jahr im Oktober starb Zilli Schmidt. Sie setzte sich bis zu ihrem Tod für Toleranz und gegen Rassismus ein, sprach in Schulen und auf verschiedensten Veranstaltungen, auch anlässlich des Gedenktags am 2. August am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin. 2021 erhielt sie für ihr Engagement als Zeitzeugin das Bundesverdienstkreuz. 

    Die Veranstaltung war gut besucht, etwa 45 Menschen durften einen bewegenden Abend für eine starke Frau erleben, der nach der Präsentation des Kurzfilms „Die bringen doch nur die Verbrecher weg“ (produziert 2020 von RomaTrial und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas) und der Lesung in Gesprächen ausklingen konnte.

    Ganz herzlichen Dank an die drei Leserinnen, Verena Lehmann, Julischka Lehmann und Alisa Hasselmann. Herzlichen Dank auch an die beiden Mitarbeiterinnen der Stadtbibliothek, Anuschka Schönichen und Sabrina Liebner, die die Präsentation technisch unterstützten.Es war die erste Veranstaltung des Fördervereins nach Corona. Wir freuen uns auf weitere.

    Text: Monika Schleicher
    Foto: Lyazat Hasselmann

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