Das andere SchulZimmer ist ein Lernort für junge Menschen, an dem sie sich mit intensiver Unterstützung auf einen Schulabschluss vorbereiten können und wurde 2018 von Ute Schnebel gegründet. Sehr bald ist Charlotte Scheriau mit eingestiegen. Gemeinsam leiten die beiden das Projekt. Das andere SchulZimmer finanziert sich durch eine jährliche Unterstützung der Stadt Mannheim sowie durch dringend benötigte Spenden, die von der Gründerin mittels intensiver Kommunikationsarbeit generiert werden. Ute hat sowohl den theoretischen als auch einen ausgeprägten praktischen Bezug zum Thema Bildung. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der PH Heidelberg und im Masterstudiengang Straßenkinderpädagogik tätig. Praktisch hat sie u.a. Erfahrungen in einem Straßenkinderprojekt in Medellin in Südamerika gesammelt.
Im Laufe ihres beruflichen Wirkens merkte Ute immer deutlicher, dass der Bedarf an alternativen Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die durch die Maschen der Regelschule fallen, groß ist. 6,2% beträgt die Schulabbrecherquote in Deutschland, in Mannheim haben nach dem Schuljahr 2021/22 laut Schulentwicklungsbericht des Fachbereichs Bildung der Stadt Mannheim fast 9 Prozent der Mannheimer Schüler*innen die Schule ohne Abschluss verlassen. Hier zu unterstützen – das war die Idee.
„Ich habe gemerkt, da hängt mein Herz dran, ich kann das gut, weil ich es gern mache. Dann habe ich alles auf eine Karte gesetzt und beschlossen, mein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen.“
Seit der Gründung haben 63 junge Menschen im anderen SchulZimmer ihren Schulabschluss geschafft. 63 junge Menschen, die ohne dieses Angebot vermutlich noch heute ohne Abschluss dastünden.
Eine Erfolgsgeschichte sowohl für alle Beteiligten als auch für die Gesellschaft insgesamt.
Was ist anders an dem SchulZimmer?
Das andere SchulZimmer ist eine Option für junge Menschen, die im bisherigen Leben keine schulischen Erfolge erfahren und sich vom bisher erlebten Bildungsangebot abgewendet haben (sog. Schulabbrecher, Schulverweigerer). Diese Abkehr kann vielfältige Gründe haben: instabile Lebensverhältnisse, mangelnde Unterstützung im Elternhaus, Armut, Mobbing- und Gewalterfahrung etc. sind häufige Ursachen.
Die Gestaltung des Unterrichts orientiert sich stark an den Lebenswelten und den individuellen Bedürfnissen der Schüler*innen. Das Projekt versteht sich keinesfalls als Konkurrenz zur normalen Regelschule, sondern als Ergänzung. Hier können die Schüler*innen eigene Perspektiven und ihr eigenes Tempo entwickeln, erfahren Unterstützung durch die Betreuenden und unterstützen sich auch gegenseitig. Menschen mit verschiedenen Lebenshintergründen, mit ihren eigenen Geschichten, lernen mit- und voneinander. Das fördert Integration und gegenseitiges Verständnis. Der erworbene Abschluss ermöglicht den jungen Menschen, einen Beruf zu erlernen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen ohne Abhängigkeit von staatlichen Leistungen.
Am Anfang des Schuljahres beginnen in der Regel rund 30 Schüler*innen, von denen nach einem Jahr ungefähr die Hälfte die Prüfung ablegt. Es ist das Ziel, dass die Schüler*innen den Abschluss in einem Jahr schaffen. Manchmal fällen aber auch alle zusammen die Entscheidung: Du brauchst noch ein Jahr. Wenige brechen komplett ab. Wie lange es bis zur Prüfung braucht, hängt auch davon ab, wieviel Wissen die Schüler*innen mitbringen, wieviel Grundlagenarbeit nötig ist.
Die Unterrichtsarbeit leisten überwiegend Ehrenamtliche, die sich ihre Arbeitsstunden über eine Aufwandspauschale (10 Euro/Stunde) vergüten lassen können, aber einige verzichten auch darauf und schenken dem Projekt ihre Zeit. Viele der Ehrenamtlichen sind Lehrer*innen im Ruhestand oder Studierende. „Wir haben auch immer Bedarf nach weiteren Mitarbeitenden. Wir fragen dabei keine besonderen Qualifikationen ab. Die meisten bringen viel Wissen mit und für uns ist das Wichtigste, dass sie die Bereitschaft haben, sich auf die jungen Menschen einzulassen“ erläutert uns Ute.
Lernbetreuung und Leben im anderen SchulZimmer
Die Vermittlung des Lernstoffes erfolgt in Einzelbetreuung und in Kleingruppen. Alle haben ihren eigenen Stundenplan, alle starten auf ihrem individuellen Lernstand und können sich die Themen erarbeiten, wie sie möchten – ohne aus den Augen zu verlieren, dass das Ziel die Abschlussprüfung ist. Natürlich gibt es auch Regeln: Pünktlichkeit, regelmäßiges Kommen. Wer nicht mitarbeitet, muss irgendwann den Platz freimachen für andere, denn die Warteliste ist lang.
Ute betont: „Wir argumentieren schon, dass hier viel Geld und Herzblut drinsteckt. Es ist etwas wert hier und das müssen die Schüler*innen auch so sehen. Aber sie bekommen bei uns schon viele Chancen. Wenn jemand ernsthaft den Abschluss machen möchte, schafft er/sie es auch.“
Die tägliche Arbeit geht von 10-18 Uhr, bei Hauptschüler*innen werden 5 Stunden Anwesenheit, bei Realschülerinnen 6 Stunden erwartet. Zwischen 13 und 14 Uhr gibt es eine allgemeine Mittagspause.
Statt Hausaufgaben sind Lernzeiten Teil der Stundenpläne – pädagogisch sinnvoller, weil die Betreuer*innen für Nachfragen oder Hilfestellung greifbar sind. Es fällt nie Unterricht aus – selbst, wenn Lehrkräfte kurzfristig absagen müssen, wird mit kreativer Flexibilität eine Lösung angeboten. Verlässlichkeit ist Ute ganz wichtig: „Wir schaffen es, jeden Tag offen zu haben. Wir sind immer da und sorgen dafür, dass immer gelernt werden kann.“
Die Kommunikation untereinander ist eine tägliche Herausforderung – da ist es auch wichtig, sich in andere hineinzuversetzen und deren Perspektive anzunehmen.
Ute hebt die Bedeutung der allgemeinen Beziehungsarbeit, die im anderen SchulZimmer geleistet wird, hervor. „Es ist oft entscheidend, dass man eine Beziehung aufbaut und verbindlich miteinander umgeht. Auf Augenhöhe, das ist uns auch besonders wichtig. Wenn es Ärger gibt, haben wir natürlich eine Autorität, aber nicht von oben herab. Wir hören uns alles an und schauen gemeinsam. Aber wir sprechen auch klar an, wenn etwas nicht gut läuft.“
Wer lernt hier und warum
Ins andere SchulZimmerkommen junge Menschen ohne Schulabschluss oder mit dem Wunsch, einen höheren Abschluss zu erreichen, aber von einer Regelschule nicht mehr aufgenommen werden. Die allgemeine Schulpflicht gilt bis 16 Jahre, bis 18 Jahre die Berufsschulpflicht, da ist es für ältere Bildungswillige oft schwer, einen Schulplatz zu finden.
Es gibt Schüler*innen, die noch an einer Schule angemeldet sind, es aber aus verschiedensten Gründen (z.B. Ängste, psychische Probleme) nicht schaffen, dort hinzugehen. Hier bietet das andere SchulZimmer ein auf sie zugeschnittenes Angebot, bei dem es mit Mannheimer Schulen kooperiert. Der Unterricht findet in Absprache mit den Lehrkräften im SchulZimmer statt. Auch die Tests und Klassenarbeiten werden hier geschrieben und anschließend von den Schulen korrigiert und benotet. Am Ende des Schuljahres schreiben die Schüler*innen die jeweiligen Abschlussprüfungen an den Schulen.
Manche sind an gar keiner Schule angemeldet und absolvieren ihre Prüfung über die sogenannte Schulfremdenprüfung. Das andere SchulZimmer bereitet auch diese Schüler*innen auf die Prüfungen vor.
Das macht eben auch den Unterschied zur „normalen“ Schule: Die Schüler*innen haben sich selbst bewusst entschieden, den Abschluss doch zu machen und sich dabei begleiten zu lassen. Und diese Art der Begleitung kann wesentlich individueller erfolgen als in der Schulklasse einer Regelschule. Ute beschreibt das so: „Menschen sind so unterschiedlich und das muss man ja erstmal rauskriegen. Manche sind offener, zeigen aber vielleicht doch nicht alles. Es gibt die ruhigeren, die man erst erforschen muss. Es kommen auch Menschen mit Depressionen oder mit Panikattacken. Das ist schwierig einzuschätzen, da müssen wir uns aneinander herantasten.“
Die größte Schwierigkeit ist bei den meisten gar nicht das Fachliche, sondern fehlendes Durchhaltevermögen. Die Fähigkeit, auch mal an die Grenzen zu gehen, Misserfolge zu ertragen, Lustlosigkeit zu überwinden und dranzubleiben, müssen Viele erst hier erlernen. Mut macht den Schüler*innen, wenn sie mit Menschen zusammenkommen, die sie auch mal loben oder die ihnen ein Vorbild sein können. Und wenn der Abschluss geschafft ist, strahlt das aus. Ute: „Die Familien sind meist so glücklich und stolz, wenn der Schulabschluss auf Umwegen doch noch geschafft wird.“
Motivation
Jeder Abschluss ist eine Erfolgsgeschichte – der junge Mann aus Syrien, der unglaublich hart gearbeitet hat, um den Abschluss in einem Jahr zu schaffen, ebenso wie eine Frau, die nach einem Gefängnisaufenthalt mit Anfang 30 ihren Hauptschulabschluss ‘in der Tasche‘ hat. Der Schüler, der in Heimen aufgewachsen ist – ein Sonnenschein, der aber auch viele dumme Sachen gemacht hatte, und dann den Hauptschul- und Realschulabschluss schaffte.
Oder der Junge, dem niemand zutraute, den Hauptschulabschluss zu erreichen. Ihm wurde in einer Förderschule immer wieder gesagt, dass er das nicht kann. Aber im anderen SchulZimmer hat er es probiert. Und er hat es geschafft.
Nur vier Beispiele von 63.
Ute beschreibt ihre Motivation sehr anschaulich so:
„Ich erlebe jeden Tag als sehr sinnvoll für mich und andere. Natürlich ist es das Highlight, wenn wir unsere Absolvent*innen feiern. Es ist spannend, viele unterschiedliche Menschen kennenzulernen, gerade bei jungen Menschen zu sehen, wie sie sich entwickeln. Es ist das pralle Leben hier. Natürlich gibt es auch schwierige, anstrengende Momente – gerade, wenn es um die Finanzen geht, kann das schon super enttäuschend sein, wenn man sich einsetzt, wenn man Anträge schreibt und es kommen dann Ablehnungen.
Denn ohne Geld geht es ja nicht.“
Text: Petra Leinberger und Monika Schleicher
Das andere SchulZimmer
Waldhofstraße 142 // 68169 Mannheim
Ansprechpartnerin: Ute Schnebel // 0621 – 48495171
das-andere-schulzimmer.de
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